Mittwoch, 1. April 2009

Carl Heinrich Grauns Passionskantate „Der Tod Jesu" in Bad Dürkheim

Eine Entdeckung

Carl Heinrich Grauns Passionskantate „Der Tod Jesu" in Bad Dürkheim


Von Roland Happersberger


Bad Dürkheim. Unbedingt hörenswert war die Aufführung der großen Passionskantate „Der Tod Jesu" von Carl Heinrich Graun durch die Dürkheimer Schlosskirchenkantorei, ein tadelloses Solistenquartett und das Heidelberger Kantatenorchester, nicht zu vergessen Stefan Göttelmann an der Orgel, am Sonntag in der Schlosskirche. Kirchenmusikdirektor Jürgen E. Müller behielt alle Fäden in der Hand und sorgte für eine spannende, wohlklingende und nie langweilige Aufführung - obwohl das Werk immerhin anderthalb Stunden dauert.


In gewisser Weise führt Grauns Oratorium in fast unbekanntes musikalisches Terrain. Der Komponist war Hofmusiker bei Friedrich II., und mit dem Preußenkönig seit Rheinsberger Jugendzeiten verbunden. „Der Tod Jesu" ist 1755 im damaligen Berliner Dom uraufgeführt worden, fünf Jahre nach Bachs Tod, ein Jahr vor Mozarts Geburt, und während der Stil der Choräle und einiger in altmeisterlich polyphonem Stil komponierter Chorsätze sich nicht weit von Bach entfernt hat, atmen die Sologesänge einen ganz anderen Geist, der dem heutigen Musikfreund am ehesten in den frühen italienischen Mozartopern begegnet sein mag. Das kommt nicht von ungefähr: Graun war den neuesten italienischen Operntendenzen verpflichtet. Hier obwalten heitere Melodieseligkeit und eine gewisse freilich zur konventionellen Gleichartigkeit tendierende Gefühligkeit, die auch vom Libretto vorgegeben ist.


Seine Reime, freie, mit Betrachtungen angereicherte Nacherzählungen der biblischen Passionsberichte, stammen von Carl Wilhelm Ramler, einem Literaturpapst jener Übergangsepoche, und neben einer ziemlich indezenten Gefühligkeit, mit der sie Jesu Leiden gleichsam auf die Pelle rücken, transportieren sie ein ziemlich kaltes Tugend-Raisonnement und ein ganz eigentümlich verwässertes Gottesbild. Man denkt unmittelbar an Goethes Satire auf die kräftig modernisierende Bibelübersetzung des auch am Dürkheimer Fürstenhof wirkenden dubiosen Theologen Carl Friedrich Bahrdt, in welcher dieser den unvermutet zu Besuch kommenden vier Evangelisten eröffnet, sie müssten erst mal ihre unmodernen Bärte scheren und ihre antiken Mäntel durch moderne Anzüge ersetzten, bevor er mit ihnen in Gesellschaft gehen könne.


Etwas von dem ist auch an diesem Oratorium, das gleichwohl besonders im Epilog einige unbedingte musikalische Kostbarkeiten enthält. Es beginnt schlicht, mit einer einfach und wohlklingend gesetzten Choralstrophe auf die Melodie von „O Haupt voll Blut und Wunden". Der eigentliche Eingangschor ist eine an sich recht konventionell angelegte, allerdings emotional aufgeladene Chorfuge, die Müller im Tempo, wohl wegen dieses Affektgehaltes („Sein Odem ist schwach") recht breit nimmt. Das gibt dem Chor Gelegenheit, die Koloraturen ohne Hast ungemein korrekt und wohlklingend auszuführen, und in der Folge entwickelt sich ein ungemein beeindruckend wogender Chorklang, in dem Männer- und Frauenstimmen einander kontrastreich, stimmlich schön und gut ausbalanciert gegenüberstehen. Auch die Dynamik ist vorzüglich ausbalanciert, ebenso wie das klangliche Verhältnis zum Organisten und zum Orchester, die souverän, klangschön und in hakenloser Kommunikation zusammenwirken - all das Qualitäten, die bis zum Schluss anhalten.


Der Sopranistin Elsbeth Reuter fiel das erste der nun folgenden Rezitativ-Arie-Paare zu, das Rezitativ gestaltete sie ansprechend, aber etwas neutral, während sie in der folgenden, nach diesem Beginn überraschend schwungvoll und strahlend einsetzenden Da-Capo-Arie - mit kontrastreich-düsterem Mittelteil - deren ungemein opernhaften Charakter prachtvoll auskostete. Antonietta Jana, die das zweite derartige Paar sang, schien sich in den Ausdrucksgehalt der Rezitative stärker vertieft zu haben, sie gestaltete wunderbar, brachte in der Arie schöne, schwungvoill tänzelnde Koloraturen. Graun liefert auch hier eine Musik, wie man sie in einem Passionswerk nicht eigentlich vermuten würde.


Noch mehr tat der leider nur an einer Stelle ausgiebiger beschäftigte Tenor Thomas Jakobs, der erst vor einer Woche in Lambrecht in Mendelssohns „Lobgesang" sehr für sich eingenommen hatte: Ungemein agil detailreich gestaltend gab er seiner Partie ungeheure Spannung. Dass dabei gewissermaßen sein Körper mitsang, ist kein Manierismus, sondern Ausdruck dessen, dass die Komposition ungemein beweglich, dass die gegensätzlichsten Affekte ganz dicht beieinander sind und dauernd umschlagen. Seine gleichermaßen schlanke wie kraftvoll geschmeidige Stimme setzte sich mühelos gegen den Orchesterklang durch, er sang das Rezitativ geradezu rasant und wagte dabei stimmlich einiges; dass dabei wenige Details nicht ganz stimmten, tat nichts zu Sache. Und die Arie war einfach mitreißend.


Thomas Herberich, der bewährte profunde Bass, machte das ganz anders. War bei Jakobs alles flirrende Bewegung, stand Herberich fest wie ein Baum, sang sicher, überlegen, kostete die Affekte auf ganz andere Weise aus. Sein Text handelte von Ungewittern, die er machtvoll donnern, und von Sonnenstrahlen, die er prachtvoll glänzen ließ. Stimmgewaltig füllte er das Kirchenschiff, seine so ganz anderen stimmlichen Ausdrucksmittel eben ganz anders, aber ebenso gescheit einsetzend wie sein Vorsänger. Nicht zuletzt von diesen - in den gemeinsamen Sätzen vorzüglich gebändigten - unterschiedlichen Personalstilen der Solisten lebte die Aufführung zu einem Gutteil.


Nach Herberichs Monumentalespressivo nimmt sich die sozusagen ungeheuer objektive, jeden Zeit- und Personalstil ausschließende große Doppelfuge „Christus hat uns ein Vorbild gelassen" geradezu frappierend aus; die Kantorei bringt sie zu zügig vorwärtsdrängender spannungsvoller Strahlkraft. Bleibt, noch einiges Schöne am Ende hervorzuheben, etwa Herberichs geradezu inbrünstig vorgetragenes, auch musikalisch hochinteressantes Accompagnato „Es steigen Seraphim" - auch im Orchester vorzüglich - und der herrliche vorletzte Satz. Allein seinetwegen verdient Grauns Oratorium, nicht vergessen zu werden.


POESCHH

Quelle:
Verlag: DIE RHEINPFALZ
Publikation: Bad Dürkheimer Zeitung
Ausgabe: Nr.76
Datum: Dienstag, den 31. März 2009
Seite: Nr.21
"Deep-Link"-Referenznummer: '4820699'
Präsentiert durch DIE RHEINPFALZ Web:digiPaper

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen